Jodhpur - Gerangel, Lassis, Kastensystem
Weiter geht es nach Jodphur, diesmal wieder per Bus. Als ich ankomme, ist es bereits dunkel. Die Tuk Tuk Fahrer am Busbahnhof fallen über die wenigen Touristen her, gehen besonders aufdringlich vor. Ich quatsche einen anderen Touri an, ob wir uns ein Tuk Tuk teilen wollen, unsere Unterkünfte würden beide im Zentrum liegen. Ich will nicht wirklich Geld sparen, denke mir aber, dass eine Fahrt zu zweit bösen Überraschungen vorbeugen könnte. Der Backpacker ist einverstanden, er kommt aus Argentinien. Wir nehmen die Verhandlungen mit den Fahrern auf, schnell wird klar, dass mein Mitfahrer den wirklich minimalen Preis erzielen will. Um jede Rupie wird gefeilscht, bis aufs Blut. Mir wird es bereits unangenehm, geht es im Endeffekt um einen 20 Cent Unterschied. Die Verhandlungen gehen sogar soweit, dass die Tuk Tuk Fahrer sich gegenseitig unterbieten und in die Wolle bekommen. Ein Gerangel entsteht, das abfahrende Tuk Tuk wird blockiert, am Fahrer wird gezerrt. Schrecklich. Der Argentinier freut sich über den Deal, mir ist das alles nur peinlich, ich bin froh, nicht im Gerangel abbekommen zu haben.
Sight Seeing steht an. Es gibt wieder eine Festung, einen Basar, eine Altstadt. Man nennt Jodphur die blaue Stadt, weil man irgendwann mal angefangen hat, die Häuser blau anzumalen. Alles sehr nett, aber man kennt es inzwischen ja schon ein wenig. Johphur ist bekannt für Lassis, das lecker erfrischende und süße Joghurtgetränk. Ich bin mutig und probiere erstmals etwas an der Straße, es ist köstlich. Ich bestelle gleich nach. Meine Verdauung meldet keine besonderen Vorkommnisse. Gut so.
Ansonsten sind die Leute hier offener als anderswo, ich soll Fotos von Kindern machen und man fragt mich noch intensiver als aus. Inder fragen immer direkt drauf los, haben keine Berührungsängste. Die Kontaktaufnahme ist immer gleich: “Where are you from?”, “What is your profession?”, “Are you married?”. Diese Art der Befragung ist anscheinend auch unter Indern üblich. Man will herausfinden, welche Position in der Gesellschaft der Gegenüber einnimmt, bzw. welcher Kaste man angehört. Das in Indien praktizierte, eng mit dem Hinduismus verbundene Kastensystem ist ein wichtiger Bestandteil der indischen Gesellschaft und erklärt auf für uns bizarre Weise das Zusammenleben der Menschen. Eine Kaste ist eine geschlossene Gruppe in einer Hierarchie, wobei als Unterscheidung zum Beispiel Name, Herkunft und Beruf dienen.
So hundertprozentig verstanden habe ich es auch nicht, aber insgesamt gibt es vier Hauptkasten, die sich in jeweils bis zu 200 Unterkasten unterteilen. Historisch gesehen nimmt der Priester den obersten Rang ein, danach folgt der Krieger, dann der Geschäftsmann. In der untersten Kaste findet man die sogenannten ‘Untouchables’, die ‘Unberührbaren’. Dabei handelt es sich um Menschen, die am oder unter Existenzminimum leben, obdach- und mittellos sind. Nicht gerade überraschenderweise zählt dazu ein sehr großer Teil der Bevölkerung. Das Leben in Kaste 4 ist grundsätzlich auf das blanke Überleben auf Lebenszeit vorbestimmt, einen anständigen Beruf zu erlangen, ist quasi unmöglich. Zum Beispiel würe ein Mitglied einer höheren Kaste, nie Essen zu sich nehmen, das von einem 'Unberührbarem’ zubereitet wurde. Insgesamt ist der Aufstieg in eine höhere Kaste (egal in welcher man sich befindet) fast unmöglich, eine Heirat zwischen Mitgliedern verschiedener Kasten unwahrscheinlich.
So macht alles einen Sinn, die nette Konversation auf der Straße dient den Indern indirekt zur Einordnung meinerseits in eine Bevölkerungsschicht. Der clevere Geschäftsmann will sicherlich auch herausfinden, welchen Preis er in den Preisverhandlungen mit mir aufziehen kann.




